Bei meiner Recherche zum Thema Fußverkehr und GIS stieß ich kürzlich auf das Projekt OpenSidewalks, das an der University of Washington in Seattle angesiedelt ist. Das Projekt geht einer Frage nach, die mir auch als übergeordnete Forschungsfrage vorschwebt: Wie kann eine detaillierte offene Datenbasis für die Fußgänger-Infrastruktur geschaffen werden, die den Anforderungen aller zufußgehenden Nutzergruppen, insbesondere Personen mit eingeschränkter Mobilität, gerecht wird?
Im Mittelpunkt des OpenSidewalks-Projekts steht das gemeinschaftliche Zusammentragen eines möglichst detaillierten Datensatzes zur barrierefreien Fußgänger-Infrastruktur. Somit ist es konsequent, dass das Projekt eng mit dem OpenStreetMap-Projekt verknüpft wurde. Auf der Website des federführenden Partners The Taskar Center for Accessible Technology der University of Washington heißt es dazu: „The OpenSidewalks project also seeks to ensure data consistency and longevity through the use of OpenStreetMap, open standards and open technology. This project would help fill a longstanding gap in data about key roadway attributes associated with sidewalks.“ Dass hier der Fokus auf offene Standards und frei zugängliche technische Werkzeuge gelegt wurde, ist ebenfalls vielversprechend.
Wie auch in diesem Artikel zum Projekt dargestellt, beziehen viele bisherige Routing-Systeme die Fußwege-Distanzen und -Kriterien nur sehr grob mit ein. Zwar ist selbst bei vielen Mobilitätsanbietern inzwischen eine auf tatsächlichen Wegen statt auf Luftlinie basierendes System hinterlegt, wie zum Beispiel beim Hamburger Verkehrsverbund auf Basis von OpenstreetMap-Daten. Die Datengrundlage reicht aber noch längst nicht aus, um auch die Belange mobilitätseingeschränkter Personen mit zu berücksichtigen: Wo sind Steigungen, die sich mit Rollstühlen mit bzw. ohne Motor nicht bewältigen lassen? Wo sind andere Barrieren für Rollstuhlfahrende vorhanden? Das OpenSideWalks-Projekt unterscheidet hier genau nach den drei Gruppen: Fußgängerin oder Fußgänger ohne Mobilitätseinschränkung, Rollstuhlfahrerin und Rollstuhlfahrer ohne Motor und entsprechend mit Motor.
Interessant ist dabei, dass das OpenSidewalks-Schema drei Typen von Entitäten beinhaltet: Nodes, Edges und Points. Dabei sind Nodes und Edges die punkt- und linienhaften Bestandteile der tatsächlichen Fußwege-Infrastruktur und Points ergänzende und unter Umständen relevante Punktobjekte in direkter Nähe des Fußwegs, die aber nicht direkt Teil der Fußwege-Infrastruktur sind.
Klärungsbedarf besteht, auch nach persönlicher Auskunft durch Nick Bolten vom OpenSidewalks-Projekt (Wissenschaftler an der University of Washington), dahingehend, dass noch nicht klar ist, inwieweit alle benötigten Features mit derzeitigen OpenStreetMap-Standards abgedeckt werden können. So stellt die Anleitung zum Bearbeiten bzw. Erstellen von OpenSidewalks-Daten in einem ersten Abschnitt dar, wie das Schema der OpenSidewalks-Daten aufgebaut ist und wie beim Eintragen vorgegangen werden soll. Daraufhin wird dargestellt, wie die bereits bei OpenStreetMap vorhandenen Tags verwendet werden können. Wie genau mit Attributen oder ganzen Features umgegangen werden soll, die (noch) nicht Teil des OpenStreetMap-Standards sind, wird nicht direkt deutlich. Allerdings gibt es bei OpenStreetMap einen Vorschlag für ein sidewalk_schema, das fast komplett beschreibt, wie man bestehende und vorgeschlagene Tags und Attribute verwenden kann – um damit die Anforderungen des OpenSidewalks-Projekts weitestgehend umzusetzen. Vieles davon ist aber noch nicht offizieller Bestandteil des OpenStreetMap-Schemas.
Anforderungen nicht-mobilitätseingeschränkter Personen
Es ist wichtig, die Belange mobilitätseingeschränkter Personen bei einem Projekt wie OpenSidewalks detailliert zu berücksichtigen. Neben Rollstuhlfahrenden sind hier natürlich auch noch andere Personengruppen relevant, wie z.B. visuell eingeschränkte Personen. Gleichwohl ist andererseits die Frage interessant: Wie werden denn die Anforderungen der nicht-mobilitätseingeschränkten Personen berücksichtigt bzw. deren Möglichkeiten hinsichtlich der Wegevarianten mit einbezogen? Bei einem Fußwege-Graphen, der straßenseitig getrennt die Fußwege erfasst und nur an Knotenpunkten Querungsmöglichkeiten vorsieht, werden ja von nicht-mobilitätseingeschränkten Personen nutzbare (informelle oder nicht explizit als solche gekennzeichnete) Querungsmöglichkeiten nicht erfasst und möglicherweise Routen umweghaft ausgegeben. Wie geht man mit dieser „weichen“ Beziehung zwischen den beiden Fußwegseiten in einem GIS um? Und wie lässt sich feststellen, ob die Straße nicht nur von der Straßenkategorie, sondern von den tatsächlichen baulichen Gegebenheiten her überhaupt Querungen an frei wählbaren Punkten zulässt?
Diese und weitere Fragen stellen sich mir gerade bei der Lektüre von relevanten Papers zum Projekt und drumherum. Ich bin gespannt, wie sich das Ganze für mich weiter konkretisieren wird.