Dieser Beitrag ist als Werkstattbericht zu meiner laufenden Geoinformatik-Masterarbeit im Rahmen des Salzburger UNIGIS-Studiums gedacht. Da könnte der Titel natürlich implizieren, dass die Arbeit an der Thesis und an den technischen Lösungen die reinste Freude ist. Das stimmt, wie bei Abschlussarbeiten naheliegend, nur teilweise. Ein ständiges Auf und Ab – Phasen des intensiven und zielstrebigen Vorankommens wechseln sich mit denen des Infragestellens und umfangreichen Verwerfens ab. Zum Glück befinde ich mich gerade ein einer ergiebigen Welle des ersten Typs.
Aber was für ein tierisches Vergnügen ist es dann? Nun ja, was Zebras und Fußgänger miteinander zu tun haben ist wohl allgemein geläufig. In Großbritannien und teilweise noch in anderen Ländern ist an Fußgängerquerungen ein halber Zoo unterwegs: Da gibt’s den Pelican (pedestrian light-controlled crossing), den moderner daherkommenden Puffin (pedestrian user-friendly intelligent crossing), den Toucan (Wortspiel mit „two can“, da Zufußgehende und Radfahrende queren können), den Pegasus (für Reiterinnen und Reiter) – und es gab auch mal einen Panda.
Und was hat das mit meiner Masterarbeit zu tun? Nun wie ich in diesem Blogartikel zu OpenSidewalks schon vor längerer Zeit berichtete, möchte ich einen Beitrag zu detaillierteren, die realen Fußgänger-Wegebeziehungen besser und genauer abbildenden Netzwerkgraphen zu Routing- und Analysezwecken leisten. Dabei habe ich mich nun auf die Integration informeller Querungen zwischen Kreuzungen abseits von Fußgängerüberwegen fokussiert und beziehe mich auf solche Querungen, die legal und mit ausreichender Sicherheit machbar sind. Der aktuelle Arbeitstitel der Masterthesis lautet: „Crossing streets between intersections – Integration of non-dedicated mid-block crossings into a pedestrian network graph“.
Da ist mir nun auch gerade klar geworden, welches Tier ich in den Zoo auf der anderen Seite des Kanals einbringe: Den Salamander (safe and legal mid-block non-dedicated road crossings, mit kleiner vokalbezogener Freiheit). Nun gut, mal sehen, ob das tatsächlich irgendwo Eingang findet. Jedenfalls wären dann in unseren Wohnstraßen ziemlich viele Salamander unterwegs.
Und wie kommt man auf so ein Thema? Nun, ich erreiche alle Ziele des täglichen Bedarfs in akzeptabler Zeit auf Schusters Rappen und bin ohnehin ein leidenschaftlicher Zufußgeher. Diese grundlegende Fortbewegungsart steht aus meiner Sicht noch immer zu wenig im wissenschaftlichen Fokus. Fußgänger-Infrastruktur ist oft nicht mehr als der klägliche Rest dessen, was bei der vorherrschenden und rückwärtsgewandten Planung des Straßenraums von innen nach außen übrig bleibt. Die Fahrradstadt, die ich als ebenso leidenschaftlicher Radfahrer grundsätzlich begrüße, wird in meiner Heimat Hamburg in vielen Fällen zu Lasten des Fußverkehrs umgesetzt und nicht, wie es im Sinne einer nachhaltigen Verkehrswende richtig ist, zu Lasten des motorisierten Verkehrs. Dass ich also ein Fußgänger-Masterarbeitsthema wählen werde war mir schnell klar. Ich möchte mit Mitteln der Geoinformatik dazu beitragen, die Analyse und Planung von Fußewegenetzen im Hinblick auf deren bessere Nutzbarkeit zu erleichtern. Konsistente und genau Netzwerkgraphen sind dabei ein wesentliches Element. Was genau ich damit machen wollte blieb zunächst etwas vage.
Schrittweise wurde daraus jedoch das genaue Forschungsthema. Beim Herumexperimentieren mit unterschiedlichen, zum Teil auf der OpenStreetMap-Website nutzbaren Routing-Services fiel mir auf, dass viele meiner Wege gar nicht korrekt abgebildet werden können, entweder weil Fußwege in der Datengrundlage ganz fehlen oder weil bei vorhandenen Geometrien der Fußwege und Überwege die Querungen innerhalb der Routen, die abseits dieser fest definierten Kanten erfolgen, nicht abgebildet werden können. Da war die genaue Idee geboren: Es müsste doch irgendwie gehen, diese Querungen auch zu integrieren!
Schnell war mir auch klar, dass ich meine Arbeit in englischer Sprache verfassen möchte. Und dann ging die Suche los, die Suche nach den passenden Begriffen, die noch immer nicht abgeschlossen ist. Da gibt es die mid-block crossings, bei denen man aber genau hinschauen muss, denn oftmals sind auch oder ausschließlich formelle Fußgängerquerungen im Straßenverlauf gemeint. Daher wird dem Begriff oftmals unmarked oder undesignated vorangestellt, um baulich und formell vorgesehene Querungen auszuschließen. Zudem werden aber in der Foschung fast ausschließlich riskante und oftmals verbotene Querungen großer mehrspuriger Straßen an nicht vorgesehenen Stellen zwischen den Kreuzungen thematisiert. Dann gibt es vereinzelt auch die Verwendung von informal crossings, wobei hier aber insbesondere unmarkierte und baulich nicht vorgesehene Fußgängerquerungen an Kreuzungen gemeint sind. Ich wählte erst „informal crossings between intersections“ als Begriff, änderte das dann aber kürzlich zu „informal mid-block crossings“.
Die Suche nach dem Forschungsstand genau zu meinem Ansatz glich der Suche nach der Nadel im Heuhafen. Drumherum war viel zu finden, etwa zum verwandten Thema des Routing über offene Flächen (Plätze und andere Flächen, auf denen sich Fußgänger frei bewegen können, Link führt zu einem Literatur-Beispiell), ebenso gibt es zahlreiche Untersuchungen zu detaillierten Netzgraphen mit separaten Fußwegen und deren Generierung.
Am ehesten war ein Konferenzbeitrag von 2016 passend, bei dem ein Sicherheitsindex für Straßenquerungen mit einem fein aufgelösten Raster entlang von Netzkanten entwickelt wurde und in dem genau das vorgeschlagen wurde, was ich vorhatte. Den darauf aufbauenden Artikel zum Thema Pedestrian Route Search Based on OpenStreetMap entdeckte ich war, kam aber trotz der Uni-Salzburg-VPN-Verbindung nicht an den Volltext, so dass ich etwas genervt erstmal woanders weitergemacht habe (Anfängerfehler…).
Dann entdeckte ich den Artikel wieder, erhielt den Zugriff und siehe da: Genau da versteckt sich die Nadel in dem großen Heuhaufen der wissenschaftlichen Literatur, also der passende Anknüpfungspunkt. Das Ganze war Teil des Forschungsprojekts PERRON – Fußgängerrouting und Fußgängernavigation sowie Qualitätsbewertung von Fußwegen und hier wurden die informellen Querungen in der Art, wie ich sie thematisiere, als „non-dedicated road crossings“ bezeichnet. In Anlehnung an den Foschungsstand, aber um zusätzlich unmarkierte Querungen an Kreuzungen auszuschließen, fiel meine Wahl nun auf den Begriff „non-dedicated mid-block crossings“. Ich trat mit dem Hauptautor der entsprechenden Beiträge in Magdeburg in Kontakt und erhielt zahlreiche weitere Infos zum Projekt.
Wie verlief die Arbeit an dem Thema bisher? Wie eingangs erläutert: Sehr wellenförmig, aber dann inhaltlich doch mir sehr klar benennbaren Phasen. Bis zum Spätsommer 2023 hatte ich mich mit der detaillierten Themenfindung und einer schon recht umfangreichen Literaturrecherche beschäftigt. Etwa Mitte September war dann für mich quasi der offizielle Start an der Arbeit, beginnend mit der Vorbereitung des Masterthesis-Workshops Ende desselben Monats in Salzburg. Bei der Präsentation hatte ich noch nicht ganz den Stand, den ich mir gewünscht hatte, aber ich holte dann schnell noch ein paar grundlegende Dinge nach. Im Oktober und November war ich dann erstmal nur mir der technischen Lösung beschäftigt, die ich rein mit QGIS, dem zugehörigen Graphical Modeler und umfangreichen geometrischen Ausdrücken umsetze (nur für einen kleinen Zwischenschritt habe ich mir ein Python-Skript geschrieben) und für die ich einen detaillierten OpenStreetMap-Datensatz aus Berlin-Neukölln verwende (ich erwähnte in diesem Beitrag bereits das zugehörige Projekt der Berliner OpenStreetMap-Community). Anfang Dezember kam der Frust, denn die Netzlängen von Service Areas, wie von mir haufenweise benötigt, lassen sich in QGIS nur mit einem sehr unperformanten Workaround ermitteln (siehe hier bei GIS StackExchange). Mein Workflow brauchte plötzlich mehrere Tage (!) um durchzulaufen.
Aber gut, erstmal durchatmen und frisch an einen anderen Teil der Arbeit gehen. Etwa Anfang Dezember habe ich mich in eine intensive Schreibphase gestürzt und möchte bis Mitte Januar den Einleitungsteil, den methodischen Überblick und den Literaturüberblick in einer schon akzeptablen Version abschließen. Dann kommt der Rest, also die Verfeinerung der technischen Lösung und die ausstehenden Teile der Verschriftlichung. Ich hoffe, dass ich weiterhin so gut vorankomme wie in den letzten Tagen.
Das mit dem tierischen Vergnügen mit den Fußgängerüberwegen stimmt also auch bezogen auf meine Masterarbeit gerade an vielen Tagen. Fußgängerquerungen in der Praxis sind leider mit wenigen Ausnahmen kein Vergnügen. Aber meine Arbeit leistet hoffentlich einen kleinen aber feinen Beitrag dazu, dass das in Zukunft anders wird.